Demenz: Besseres Miteinander


„Die Demenz meines Vaters macht den Austausch ¬zwischen uns immer schwieriger. Wie lässt sich trotz der Erkrankung unsere Kommunikation verbessern?" 

fragt Victoria Z. (59)

 

Es antwortet: Psychologin Dr. Julia Haberstroh


Was Sie schildern, erleben viele, die Menschen mit Demenz betreuen und pflegen. Zwar wird der Gedächtnisverlust oft als das wesentliche Symptom beschrieben, doch die Krankheit hat noch andere belastende Folgen für Betroffene und Angehörige. Unter anderem gelingt es den Patienten immer weniger, abstrakten Gedankengängen zu folgen, sich zu orientieren und komplexe Sachverhalte zu beurteilen. Hinzu kommen nicht selten Lese- und Sprachstörungen sowie Persönlichkeitsveränderungen. Darüber hinaus erleben die Betroffenen einen Rollenwechsel, weil sie in Abhängigkeit geraten und pflegebedürftig werden. All dies belastet ihr Selbstwertgefühl. Statt den Kontakt zu ihren Mitmenschen zu suchen, ziehen sich viele zurück. Pflegende Angehörige wie Sie erleben das Krankheitsgeschehen und dessen Folgen unmittelbar. Medikamente oder psychologische Maßnahmen lindern zwar die Symptome, halten die Demenzerkrankung aber nicht auf. Tagtäglich stellen Sie fest, dass der Austausch immer schwieriger wird.

 

Die Lebenssituation erleichtern
Als wir im Jahr 2004 die „Trainingsangebote zur Kommunikation in der Versorgung von Menschen mit Demenz" (TANDEM) ins Leben riefen, war unser Ziel, diesen Austausch, die Kommunikation zwischen Angehörigen und Erkrankten, zu verbessern. Das Programm hat sich seitdem sehr bewährt und wird inzwischen bundesweit von verschiedenen Einrichtungen wie Beratungsstellen für pflegende Angehörige angeboten. Es umfasst sechs bis acht wöchentliche Sitzungen und ist kostenlos.

Vielen Angehörigen fällt es schwer, sich für einen solchen Kurs anzumelden. Sie nehmen ihn zunächst als zusätzliche Belastung wahr. Jene, die sich doch für das Training entscheiden, berichten aber das Gegenteil: Sie fühlen sich durch die Teilnahme entlastet. Und genau das ist das Ziel des Trainings.

 

Freiräume für pflegende Angehörige
In den ersten drei Sitzungen sollen sich die Teilnehmer vor allem kennenlernen. Zudem bekommen sie nochmals die medizinischen Grundlagen von Demenzerkrankungen vermittelt und besprechen, wie wichtig Freiräume für Angehörige sind. Die Teilnehmer sollen verstehen, dass sie den Kurs für sich belegen. Es geht nicht darum, die Pflege perfekter zu gestalten, sondern sich zu entlasten.

In den drei folgenden Sitzungen steht die Kommunikation im Mittelpunkt. Die Kursphilosophie lautet: Stärken fördern, Schwächen umgehen. Der Kurs will keine starren Regeln vermitteln, denn jede Pflegesituation ist anders. Basis für die Diskussionen sind stets die Erfahrungen, von denen die Teilnehmer berichten. Anhand dieser wird gemeinschaftlich erörtert, wie sich die Kommunikation verbessern lässt.

 

Stärken fördern, Schwächen umgehen
Es ist wichtig, sich Stärken und Schwächen des Erkrankten zu vergegenwärtigen. Beispielsweise fällt es vielen Menschen mit Demenz schwer, von neueren Ereignissen zu berichten. Im Gespräch kann es passieren, dass sie den Faden verlieren, nicht die passenden Wörter finden oder Schwierigkeiten haben, komplexe Sätze zu bilden. Andererseits gelingt es vielen sehr wohl, länger zurückliegende und aufwühlende Erlebnisse flüssig zu schildern. Dabei greifen sie oft auf Floskeln zurück oder bilden einfache, kurze Sätze. Ausgesprochen gut nehmen Menschen mit Demenz Körpersprache und Gefühle wahr.

Einige Verhaltensweisen können hilfreich sein, wenn Sie Ihrem Vater den Gesprächsbeginn erleichtern wollen: Wenden Sie sich ihm zu, und knüpfen Sie an alte Erinnerungen, wichtige oder auch allgegenwärtige Themen des Lebens an, ohne sich auf neue Erlebnisse zu beziehen. W-Fragen (warum, weshalb, wieso, wozu) sind zu schwierig und sollten vermieden werden.

Akzeptieren Sie, dass kürzlich Gesagtes vergessen wird, und weisen Sie Ihren Vater nicht auf seine Fehler hin. Im Gesprächsverlauf können Sie ihm immer wieder helfen, den roten Faden zu finden - zum Beispiel indem Sie seine letzten Worte noch einmal wiederholen oder ganz selbstverständlich etwas zum Thema beitragen. Halten Sie sich nicht mit inhaltlichen Fehlern auf, und nehmen Sie unbekannte Wörter einfach hin. Wiederholen Sie ruhig Sätze und Inhalte - wenn nötig mehrmals. Gefühle und Körpersprache eignen sich gut zur Kommunikation: Beobachten Sie die Körpersprache Ihres Vaters, und lassen Sie auch Ihren Körper sprechen. Erspüren Sie seine Gefühle und gehen Sie wenn möglich darauf ein. Das signalisiert Verständnis und Wertschätzung.

 

Botschaften für den Kranken
Menschen mit Demenz haben Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit auf mehrere Dinge zu verteilen. Daher ist es wichtig, nicht zu viele Reize gleichzeitig auf die Kranken einstürzen zu lassen. Vermeiden Sie, dass mehrere Gespräche parallel geführt werden. Verhindern Sie Lärm oder störende Geräusche. Verwenden Sie kurze, einfache Sätze. Vermeiden Sie Mehrdeutigkeiten und Ironie, denn sie erschweren das Verständnis einer Aussage. Beim Ansprechen ist es wichtig, sich zu zeigen, Blickkontakt aufzunehmen und den Betreffenden mit Namen anzusprechen. So ziehen Sie die Aufmerksamkeit auf sich.

Nehmen Sie sich Zeit für die Gespräche. Zeitdruck behagt weder Gesunden noch Menschen mit Demenz. Sprechen Sie langsam und deutlich, ruhig und klar, sanft und liebevoll. Hilfreich kann es zudem sein, wichtige Wörter zu betonen und auch auf Sprichwörter, Volksweisheiten und Lieder zurückzugreifen - denn diese vermitteln häufig emotionale Botschaften, die von Menschen mit Demenz sehr gut verstanden werden.

Vielleicht wenden Sie einen Teil der Vorschläge schon an - vermutlich ein bisschen abgewandelt und angepasst an Ihre Situation. Denn Sie sind die Expertin in der Kommunikation mit Ihrem an Demenz erkrankten Vater. Sie lernen und erfahren täglich, was ihm gut- oder nicht guttut - und was in Ihrer Situation für Sie und Ihren Vater hilfreich und wichtig ist.

Verlangen Sie nicht zu viel von sich selbst, und vergessen Sie nie: Wer jemanden pflegt, muss auch sich selbst pflegen. Achten Sie darauf, dass Sie Zeit für sich finden, sich Auszeiten zugestehen und ermöglichen.

Beratung bei individuellen Problemen erhalten Sie beispielsweise am Alzheimer-Telefon der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. unter Tel. 0 18 03/17 10 17 oder

Tel. 0 30/2 59 37 95 14.


Psychologin Dr. Julia Haberstroh, Frankfurt am Main
Seit Jahren beschäftigt sich die Diplom-Psychologin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Klinikums der Universität Frankfurt mit der Betreuung von Demenzpatienten. Im Rahmen der Arbeitsgruppe Gerontopsychiatrie von Professor Johannes Pantel hat sie „TANDEM" mitentwickelt: „Trainingsangebote zur Kommunikation in der Versorgung von Menschen mit Demenz". Es soll die häusliche oder stationäre Pflege erleichtern und die Lebensqualität der Kranken verbessern.

 

Quelle: Wort&Bild Verlag; HausArzt-PatientenMagazin

 

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