Kortison: Weniger ist heute mehr
„Wegen meiner Arthrose soll ich Kortison in das Knie gespritzt bekommen. Ich bin skeptisch. Hat Kortison nicht heftige Nebenwirkungen?", fragt
Werner F. (63)
Hausärztin Dr. Nicole Etavard-Gorris, Oldenburg
Patienten sind verunsichert, wenn die Rede auf Kortison-Präparate kommt. Das erlebt die
Fachärztin für Allgemeinmedizin und Chirotherapie oft. Doch Kortison ist nicht gleich Kortison, erklärt sie. Und auch die Therapiedauer spielt eine Rolle bei der Abwägung des Nutzens.
Es antwortet Dr. Nicole Etavard-Gorris
Bei Ihnen ist eine örtliche Kortisonbehandlung geplant, eine kurzfristige und wirksame Therapie bei schmerzhafter Arthrose. Der Arzt achtet auf eine schonende
Injektion, um die Keimfreiheit des Gelenks zu bewahren. Dann sind im Körper keine wesentlichen Nebenwirkungen zu erwarten. Dagegen besteht bei Ihnen die Hoffnung auf deutlichen Nutzen: Kortison
kann die akute Entzündung dämpfen oder sogar beseitigen. Die Schmerzen lassen nach, und Sie können sich besser bewegen. Das schafft die Voraussetzung für die weitere, längerfristige Behandlung
der Arthrose, vor allem mit Bewegungstherapie.
Kortison und verwandte Wirkstoffe wie Beclomethason oder Prednison - Ärzte sprechen von Glukokortikoiden - sind in einigen medizinischen Bereichen unverzichtbar. Sie hemmen Entzündungen und
dämpfen überschießende Immunreaktionen. Die einzelnen Präparate unterscheiden sich in ihrer Wirkstärke. Alle jedoch ähneln dem natürlichen Hormon Cortisol - etwa 30 Milligramm produziert der
Körper davon täglich. Kortisonarzneien nutzen die Stoffwechselwege des Hormons.
Veraltete Informationen
Leider kursieren immer noch viele falsche Vorstellungen über Kortisonbehandlungen. Ein Grund dafür sind Berichte
über Nebenwirkungen wie Mondgesicht, Knochenschwund, schlechte Wundheilung, Nierenschäden oder grauer Star. Diese stammen jedoch aus einer Zeit, als es der Medizin noch an Erfahrung mit
Glukokortikoiden mangelte. Heute werden sie gezielter und vorsichtiger eingesetzt.
Die Ärzte überwachen die Behandlung genau. Bei vielen Krankheiten reichen geringe Wirkstärken oder örtlich begrenzte Anwendungen. Höhere Dosierungen senkt der Arzt schnellstmöglich. Meist kann
das Kortison abgesetzt werden, ehe nennenswerte Nebenwirkungen überhaupt drohen. Dieser umsichtige Umgang macht Kortison zu einem vergleichsweise risikoarmen Medikament.
Dauerbehandlung selten nötig
Nur wenige Patienten benötigen heute noch eine dauerhafte, intensive Behandlung damit - meist nur dann, wenn
andere Mittel ihre schweren Krankheitssymptome nicht ausreichend unterdrücken. Das kommt vor allem bei Autoimmunerkrankungen manchmal vor, etwa rheumatoider Arthritis. Diese Patienten haben nach
einer gewissen Therapiedauer tatsächlich mit Nebenwirkungen zu kämpfen. Im Vergleich dazu, wie es ihnen ohne Kortison ergehen würde, ist es trotzdem die bessere Alternative. Betroffene benötigen
eine gute Aufklärung und medizinische Begleitung, dann kommen sie mit der Therapie und ihren Folgen zurecht.
Mehr zu den Hauptanwendungsgebieten erfahren Sie hier:
Asthma und Allergien
Kortison ist ein Standardmedikament in der Asthmatherapie. Es unterbindet die Entzündungsreaktion in den Bronchien.
Die Schleimproduktion sinkt. Die Lungen sind unempfindlicher gegen Reize, die einen Anfall auslösen könnten. Das hat Asthma viel von seinem Schrecken genommen: Kaum jemand gerät deswegen mehr in
eine lebensbedrohliche Situation. Die Lebensqualität der Patienten hat sich entscheidend verbessert.
Meist wird das Kortison inhaliert. Diese lokale Anwendung ist gut verträglich. Nur in schweren Fällen sind zeitweise Tabletten nötig. Bei akuten allergischen Überreaktionen - etwa nach einem
Wespenstich - lindert eine hohe Einzelgabe Kortison die schlimmsten Symptome.
Saisonale Allergien wie Heuschnupfen lassen sich zeitlich begrenzt mit leichten Kortisonen behandeln, falls Antihistaminika nicht ausreichen. Schwache Kortisone, etwa als Nasenspray, sind sogar
rezeptfrei. Nebenwirkungen muss man bei normalem Gebrauch nicht befürchten. Allerdings sollte niemand eine Allergie mit Kortisonpräparaten längere Zeit ohne Rücksprache mit dem Arzt
behandeln.
Hautkrankheiten
Gele, Cremes oder Salben mit Kortison bessern entzündliche Hautreaktionen, etwa bei Neurodermitis oder Schuppenflechte,
aber auch bei starkem Sonnenbrand. Anwendungen von ein, zwei Wochen bleiben ohne unerwünschte Nebeneffekte. Bei längerer Therapie wird die Haut dünn, rote Äderchen oder Akne können auftreten. Der
Wirkstoff darf nicht auf offene Wunden gelangen - das könnte eine Infektion begünstigen, denn Kortison schwächt die örtliche Immunabwehr.
Rheuma
Rheumatische Erkrankungen lassen sich meist mit sogenannten Basistherapeutika im Zaum halten. Diese Arzneien verhindern oder
verlangsamen das Voranschreiten der Erkrankung. Kortison lindert akute Entzündungsschübe, kann dann aber meist wieder abgesetzt werden.
Wer Kortisontabletten verordnet bekommt, sollte sie nie plötzlich absetzen. Da der Körper während der Therapie seine eigene Kortisonbildung drosseln kann, könnte das schwerwiegende Folgen haben.
Die Dosis muss langsam, nach Anweisung des Arztes gesenkt werden, damit die normale Hormonproduktion wieder in Gang kommt.
Quelle: Wort&Bild Verlag; HausArzt-PatientenMagazin; Foto:W&B/Fritz Stockmeier