Verkehrsmedizin: Sicher am Steuer
„Bei meinem Vater wurde Alzheimer im Frühstadium festgestellt. Er ist Rentner und viel im Auto unterwegs. Ist er jetzt noch fahrtüchtig? Wie sage ich
ihm, dass er den Führerschein abgeben muss?" fragt Andrea B. (47)
Hausarzt und Gutachter Dr. Willi Heinrich, Langenselbold
Der Lehrbeauftragte der Universität Frankfurt wird oft für verkehrsmedizinischen
Gutachten über Bluthochdruck oder Diabetes herangezogen. Er weiß: Viele ältere Menschen sorgen sich, ob sie noch fahren können. Ihnen zeigt er Wege, ihr persönliches Unfallrisiko zu
vermindern.
Es antwortet Dr. Willi Heinrich
Eine Alzheimer-Demenz schädigt das Hirn langsam, aber fortschreitend. Eines Tages wird Ihr Vater das Autofahren aufgeben müssen. Ob sofort oder erst in einigen
Monaten, lässt sich nur durch eine spezielle Untersuchung feststellen. Feste Grenzen - etwa dass Demenz-Patienten ab dem Zeitpunkt der Diagnose grundsätzlich nicht mehr fahren dürften -
existieren nicht.
Es ist der Alzheimer-Erkrankung eigen, dass sie sich in körperlicher Hinsicht erst spät auf die Fähigkeiten am Steuer auswirkt. Bei einem Reaktionstest - also wenn es um das Bremsen oder
Ausweichen geht - erzielen Patienten oft lange passable Ergebnisse. Deutlich früher verlieren sie das Orientierungsvermögen und Fähigkeit, Situationen im Straßenverkehr richtig zu bewerten.
Beides ist jedoch für die Fahrtüchtigkeit entscheidend.
Zur Demenzdiagnostik gehört der sogenannte Uhren-Test. Dabei muss der Patient eine Uhr mit Zifferblatt zeichnen und darin eine bestimmte Zeit markieren. Das gelingt Alzheimer-Patienten mit
fortschreitender Erkrankung immer schlechter. Spätestens wenn der Arzt hierbei Probleme feststellt, muss mit dem Autofahren Schluss sein.
Einem älteren Menschen mitzuteilen, dass er ab sofort nicht mehr ans Steuer darf, ist stets eine heikle Angelegenheit. Viele Senioren werden ohne Auto einsamer und hilfsbedürftiger. Mit dem Wagen
besuchen sie Bekannte, fahren zum Einkaufen, zum Gottesdienst oder auch ins nächste Gasthaus, weil sie nicht mehr für sich selbst kochen. Es ist verständlich, dass niemand gerne so ein wertvolles
Stück seiner Eigenständigkeit aufgibt.
Noch mehr Schwierigkeiten bereitet es, einem an Demenz erkrankten Menschen das Autofahren zu verweigern. Wegen seiner Gehirnerkrankung kann er die Gründe dafür nicht mehr verstehen. Zusätzlich
ist das Verhältnis zwischen Patient und Angehörigen durch die krankheitsbedingten Veränderungen in solchen Situationen oft sehr angespannt und gefühlsbeladen. Sind sich Angehörige darum unsicher,
wie sie das Thema angehen sollen, kann es helfen, mit dem Hausarzt gemeinsam eine Strategie zu entwickeln. Er kennt den Patienten und die ganze Familie meist so gut, dass er mit einem Rat
unterstützen kann. Rückhalt und nützliche Tipps erhalten Angehörige von Demenz-Patienten auch in den zahlreichen Selbsthilfegruppen. Adressen sind zum Beispiel bei der Alzheimer-Gesellschaft
(www.deutsche-alzheimer.de) erhältlich.
Weitere Informationen zum Thema Fahrtüchtigkeit erhalten Sie hier:
Fahrtauglichkeit: Die Verantwortung liegt beim Fahrer
Wer sich hinters Steuer setzt, obwohl er den Anforderungen im Verkehr nicht
gewachsen ist, macht sich strafbar. Außerdem steht er bei einem Unfall ohne Versicherungsschutz da. Die Fahrtauglichkeit lässt sich im Zweifel nur durch eine fachärztliche Prüfung feststellen.
Der Gutachter kann weitergehende Untersuchungen anordnen, etwa einen Reaktionstest beim TÜV. Alle Kosten hat der Patient zu tragen. Sie belaufen sich auf mehrere Hundert Euro.
Manchmal macht ein behindertengerechter Umbau des Autos das Fahren wieder möglich. Oder der Gutachter knüpft die Fahrerlaubnis an Auflagen - etwa an regelmäßige Sehtests. Es gibt auch eine
eingeschränkte Fahrtüchtigkeit. So können viele geistig behinderte Menschen nach der gesetzlichen Regelung durchaus Traktor fahren.
Hohes Alter allein ist kein Hinderungsgrund fürs Fahren. Umsichtige Senioren passen ihr Verhalten von sich aus an ihre Fähigkeiten an und verzichten zum Beispiel auf das Fahren zu
Stoßzeiten.
Risiko: Getrübte Sicht
Augenärzte haben ermittelt, dass ab einem gewissen Alter fast alle Autofahrer, die an Unfällen beteiligt sind, ihr
Sehvermögen überschätzt haben. Gutes Sehen ist im Straßenverkehr nicht nur zum schnellen Erkennen und Reagieren nötig. Es ist auch unerlässlich, um Abstände und Entfernungen richtig
einzuschätzen. Testen Sie gelegentlich, ob Sie auf beiden Augen gut sehen: Halten Sie ein Auge zu, und prüfen Sie, wie gut Sie in der Nähe und Ferne lesen können. Verschwimmen die Konturen,
sollten Sie einen Sehtest machen.
Achten Sie besonders auf Sehprobleme in der Dämmerung oder nachts: Bereitet es Ihnen Mühe, bei Dunkelheit Kontraste zu unterscheiden? Blendet Sie das Rücklicht des Autos vor Ihnen? Falls ja,
sollten Sie in beiden Fällen zum Augenarzt gehen.
Oft ist auch das Sehfeld eingeschränkt, ohne dass dies im Alltag auffällt. Erste Hinweise liefert ein einfacher Test: Legen Sie die Hände auf die Wangen, Fingerspitzen etwas über Augenhöhe, und
führen Sie sie dann etwa zehn Zentimeter zur Seite. Wenn Sie den Kopf drehen müssen, um eine Hand oder beide Hände zu sehen, kann das auf einen zu großen toten Winkel im Gesichtsfeld hindeuten.
Wer auf einem Auge erblindet, darf erst wieder ans Steuer, wenn er neu gelernt hat, Entfernungen einzuschätzen.
Medikamente: Wie sie Autofahrer ausbremsen
Eine Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen hat ergeben, dass rund 17 Prozent aller Medikamente das Reaktionsvermögen herabsetzen können. Etwa jeder fünfte Unfall wird unter Einfluss von
Arzneimitteln verursacht. Anders als für Alkohol existieren für Arzneien aber keine Grenzwerte. Ihre Auswirkung wird von Fall zu Fall beurteilt.
Als besonders riskant haben sich Schlaf- und Beruhigungsmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine, sogenannte Tranquilizer, erwiesen. Sie beeinträchtigen die Fahrsicherheit noch Tage nach der
Einnahme. Die Mischung mit Alkohol - die grundsätzlich bei der Einnahme von Medikamenten schlecht ist - wirkt hier besonders fatal. Bei Einnahme dieser Mittel heißt es: Finger weg vom
Steuer!
Auch bei anderen Schlaf- und Beruhigungsmitteln sowie bei Schmerzmitteln sollen Patienten ihren Arzt oder Apotheker wegen der Wirkung auf die Fahrtüchtigkeit fragen. Vor allem in der Anfangsphase
der Einnahme oder bei Dosisänderungen kann es zu Beeinträchtigungen kommen.
Bei Arzneien, die das Gehirn beeinflussen, wie Antidepressiva, Angstlösern oder einigen Parkinson-Medikamenten, ist immer Rücksprache mit dem Arzt zu halten. Während der Eingewöhnungsphase sollte
man nicht Auto fahren. Hände weg vom Steuer heißt es auch bei der Einnahme von einigen älteren Allergiepräparaten oder Hustenblockern mit Codein. Blutdrucksenker beeinträchtigen je nach Präparat
mehr oder weniger die Fahrtüchtigkeit zu Beginn der Therapie. Beachten Sie die Empfehlung Ihres Arztes.
Herzleiden: Nach Schlaganfall oder Infarkt
Früher galt die Faustregel, nach einem Herzinfarkt sechs Monate nicht zu fahren. Mit heutigen
Diagnosemethoden lässt sich jedoch genau feststellen, wie stark das Herz geschädigt ist und welche Folgen das für die Fahrtauglichkeit hat. Einige Patienten können zum Beispiel schon nach zwei
Wochen wieder ans Steuer, wenn sie ihre Medikamente gut vertragen. Nach einem Schlaganfall entscheiden zwei Faktoren über das Fahrvermögen: zum einen körperliche Behinderungen wie Lähmungen oder
Sehstörungen, zum anderen Hirnschäden, die das Reaktionsvermögen einschränken können.
Zucker und neurologische Leiden: Wenn ein Aussetzer droht
„Unfall wegen Unterzucker: Behörde entzieht Diabetiker den Führerschein". Solche
Schlagzeilen verunsichern viele Patienten. Dabei sind chronische Leiden an sich kein Grund, den Führerschein abzugeben. Allerdings darf von den Betroffenen im Verkehr keine erhöhte Unfallgefahr
ausgehen - etwa durch einen geistigen Aussetzer, wie er bei Unterzucker vorkommen kann. Um sich als Autofahrer abzusichern, sollte der Arzt bestätigen können, dass die chronische Krankheit stabil
eingestellt ist. Nach einer Zucker-Komplikation oder einem epileptischen Anfall müssen Betroffene ein halbes Jahr Anfallfreiheit nachweisen, ehe sie wieder fahren dürfen. Auch Patienten mit
neurologischen Störungen wie Parkinson oder schweren psychischen Leiden wie Psychosen, manischer Depression und Schizophrenie sollten ihren Arzt fragen, ob sie fahrtauglich sind.
Quelle: Wort&Bild Verlag; HausArzt-PatientenMagazin; Foto: W&B/Bert Bostelmann